Mit ihren innovativen Designs überzeugte Vanessa Schindler bereits die Jury des Hyères Modefestivals, jetzt präsentierte sie ihre Frühling/Sommer 2018 Kollektion erstmals auf der Berliner Fashion Week – wir haben die Schweizerin zum Interview getroffen
Renommierte Labels wie Henrik Vibskov und Balenciaga hat Vanessa Schindler auf ihrer Liste bereits abgehakt: In den vergangenen Jahren absolvierte sie dort Praktika, bahnte sich so entschlossen ihren Weg in die Modewelt. Mittlerweile hat sie sich schon längst mit ihren eigenen Designs einen Namen gemacht und gewann im vergangenen April den begehrten Hauptpreis des Festivals für Mode und Fotografie in Hyères. Dass sie sich im Finale gegen ihre sieben Konkurrenten durchsetzte, mag an dem Zusammenspiel von Talent und Entschlossenheit liegen, mit Sicherheit jedoch ebenso an ihrem innovativen Denken, das außerhalb altbekannter Muster stattfindet: Für ihre Kollektion „Urethane Pool, Chapter 2“ arbeitete die studierte Modedesignerin mit dem Werkstoff Polymer Urethan, brachte ihn in einen festen Zustand und verarbeitete ihn so zu einem Material, das an erstarrte Flüssigkeit erinnert. Ein Konzept, das nicht zuletzt Mercedes Benz, Mitglied und Partner des Fashion Council Germany, selbst überzeugt hat: Ihm Rahmen des Berliner Mode Salons präsentiert die Brand nun auch Vanessa Schindler, betont so abermals die Relevanz der aktiven Förderung junger Nachwuchsdesigner. Wir trafen die Schweizerin vor ihrer ersten Show auf der Berliner Fashion Week – ein Gespräch über veraltete Konzepte, neue Chancen und Innovationen in der Mode:
Du kommst gebürtig aus Bulle in der Schweiz, hast in Genf studiert. Wie bist du zur Mode gekommen?
Ich habe schnell gemerkt, dass ich etwas Kreatives machen möchte. Der Ort, in dem ich aufgewachsen bin, ist sehr klein und dort arbeitet nicht wirklich jemand in der Mode. Anfangs wusste ich also nicht einmal, dass die Modeschule in Genf existiert. Ich habe sie mir dann zur Eröffnung einfach mal angeschaut und hatte direkt das Gefühl, dass sie perfekt für mich ist. Also habe ich mich beworben und wurde zum Glück angenommen.
Was ist deine modische Vision?
Für mich ist Mode sehr stark mit dem Experimentieren verbunden – ich hinterfrage, was wir machen und wie wir es herstellen. Meine Kollektion ist ein großes Projekt, das ich während meines Masters in Genf gemacht habe. Ich habe mit dem Werkstoff Polymer Urethan gearbeitet und wollte so einen Weg finden, Kleidung in einer anderen Art und Weise zu kreieren.
In der Mode wiederholen sich Trends vergangener Jahrzehnte regelmäßig. Welche neuen Aspekte bringst du in die Welt der Mode?
Ich verbinde klassische Elemente mit interessanten Materialien, die man gewöhnlich nicht auf diese Weise verwendet. Meine Idee ist es, Plastik in diese sehr glamouröse, schicke Welt zu bringen und so einen Kontrast zu bilden.
Welche Geschichte steckt hinter deiner Frühling/Sommer 2018 Kollektion?
Zu Beginn hatte ich die Idee, Materialien wie kleine Skulpturen auf meiner Kleidung zu formen und habe angefangen, viel zu recherchieren. Während meiner Recherche habe ich eine Dokumentation über den amerikanischen Architekten Bruce Goff geschaut – ich habe eine Leidenschaft für Interior Design aus den 60er Jahren, weil damals sehr innovativ gearbeitet wurde. Bruce Goff hat dieses Haus namens „Bavinger House“ designt, ich habe mich direkt in dessen Räumlichkeiten verliebt. Die Böden sind komplett mit Teppich ausgelegt, zwischendrin sind kleine Fontänen eingesetzt. Es war eine tolle Mischung und hat für mich das repräsentiert, was ich in meiner Kollektion versucht habe, nämlich matte Materialien wie Fake Fur und Samt mit etwas zu verbinden, das einen glänzenden, fast schon flüssigen Look hat. Das „Bavinger House“ war eine meiner größten Inspirationen.
Wie beginnst du einen neuen Designprozess?
Bei mir dreht sich vieles darum, Dinge zu sortieren und sie in Kategorien einzuteilen. Ich finde es wichtig, in dem, was ich tue, eine Funktionalität zu haben. Bei Polymer Urethan habe ich gemerkt, dass sich Nähte durch eben dieses Material ersetzen lassen, ich zwei verschiedene Materialien übereinanderlegen und darauf malen kann. Ich arbeite meist am Tisch, also sehr flach. Die ersten Male habe ich ein paar Formen auf dem Tisch gemalt, acht Stunden gewartet, und als ich wieder in mein Studio kam, gab es diesen Überraschungseffekt. Ich wusste vorher nie, wie das gehärtete Polymer Urethan aussehen würde. Natürlich mache ich dann auch eher mal Fehler, aber ich mag die Arbeitsweise.
Hast du ein Lieblingsteil aus deiner Kollektion?
Das ändert sich immer, aber am Anfang war das lange, schwarze Kleid mit all den kreisförmigen Elementen mein Lieblingsstück. Ich habe mein ganzes Herz dort hineingesteckt. Beim Hyères Festival habe ich aber einen anderen Look wiederentdeckt, den ich mittlerweile sehr mit dem Model, das es getragen hat und der Stimmung des Abends verbinde. Vielleicht habe ich nach meiner Show in Berlin also wieder einen neuen Favoriten.
Du hast in der Vergangenheit Praktika bei Balenciaga und Henrik Vibskov gemacht. Welche Erfahrungen und Learnings hast du aus solch großen Modehäusern für dein eigenes Label mitgenommen?
Bei Balenciaga konnte ich viel experimentieren, weshalb ich den Job so geliebt habe. Gleichzeitig habe ich sehr eng mit meinem Chef zusammengearbeitet. Wir haben viele Ideen getestet, was erst durch die verschiedenen Maschinen und Technologien möglich war. All das auszuprobieren hat mir für mein eigenes Label geholfen, denn so denke ich immer darüber nach, wie ich Neues kreieren kann. Es war aber auch unheimlich spannend, die vielen Handwerkskünstler zu sehen. Manchmal war ich so verblüfft, dass ich ihnen einfach nur zugeschaut habe. Bei Henrik Vibskov war es vielmehr die Stimmung im Studio, die mich so inspiriert hat. Das Team ist wie eine große Familie, auch Henrik selbst ist immer vor Ort, redet und arbeitet mit allen. Wir haben auch zusammen zu Mittag gegessen – all das hat mir die Motivation zu geben, ein neues Projekt zu beginnen und es gleichzeitig persönlicher zu gestalten. Ich möchte künftig auch bei meinem eigenen Label in einem Team arbeiten, das dieses Familiengefühl vermittelt.
Welchen Herausforderungen bist du als junge Designerin in der Modebranche ausgesetzt?
Die größte Herausforderung sehe ich darin, Respekt für die eigene Arbeit und die Menschen, die daran mitwirken, zu bekommen. Das war auch einer der Gründe, weshalb ich die Recherchearbeit gemacht habe – wir müssen stärker darüber nachdenken, was und wie wir produzieren. Das beschäftigt mich in dieser verrückten Modewelt wohl am meisten.
Kürzlich hast du den renommierten Hauptpreis des Hyères Festivals gewonnen. Was bedeutet dieser Preis für dich und wie bringt er dich weiter?
Der Preis bringt mich schon ein kleines bisschen weiter, denn mit dem Preisgeld muss ich eine Kollektion für das kommende Hyères Festival designen. Außerdem darf ich für diese Kollektion mit Les Atelier de Chanel, wie beispielsweise Maison Lesage kollaborieren. Sie sind für ihre Stickereien und Verzierungen bekannt, für mich ist es eine tolle Möglichkeit. Ich werde auch mit Petit Bateau, einer französischen Brand, arbeiten und hier eher tragbare Mode designen. Durch den Hyères Preis bekomme ich natürlich auch sehr viel Werbung für meine Arbeit – ich kann mich einfach sehr glücklich schätzen.
Du hast das Hyères Festival als eines deiner Highlights beschrieben. Welcher Schritt war der bisher wichtigste deiner Karriere?
Der Beginn meiner Recherche zum Material Polymer Urethan war für mich persönlich der wichtigste Schritt. Anfangs habe ich nie gedacht, dass ich einmal in diese Richtung gehen würde. Hätte mir früher jemand gesagt, dass es mal so kommen würde, hätte ich der Person nicht geglaubt. Der Zeitpunkt, um all das zu starten, war allerdings perfekt.
Und an welchem Punkt deiner Karriere würdest du in zehn Jahren gerne stehen?
Ich möchte weiterhin viel Zeit in die Recherche stecken und bin mir sicher, einen Weg zu finden, all das fortzusetzen. Natürlich möchte ich auch mein eigenes Label stärker ausweiten und vielmehr mit Editionen arbeiten, statt viele Teile zu produzieren. Der Gedanke, viel mit den Händen zu arbeiten ist mir wichtig, ich möchte nicht hetzen und alle Kollektionen so produzieren, wie ich es mir vorstelle. Zwar ist das in der heutigen Welt schwierig, aber ich möchte zumindest versuchen, mir die Zeit zu nehmen.
Vetements hat kürzlich verkündet, keine Runway Shows mehr zu zeigen und bezeichnet dieses Konzept als veraltet. Wie schätzt du die Entwicklung ein?
Einerseits bin ich sehr froh, meine Kollektion in einer Show zeigen zu können. Es ist toll, die Models mit meinen Designs zu sehen und die Fittings zu machen. Ich denke aber auch, dass eine Show anders, vielleicht intimer sein könnte und weniger choreografisch. Da gibt es einige Optionen über die es sich lohnt nachzudenken. Als Jungdesigner muss ich damit vorsichtig umgehen, denn momentan habe ich zwar eine tolle Unterstützung, aber ich weiß, dass die Zeit kommt, in der ich eine andere Lösung finden muss.
Würdest du in der Zukunft also auch eher Präsentationen statt Schauen in Betracht ziehen?
Ja, auf jeden Fall.
Weshalb hast du dich in dieser Saison dann für eine Show entschieden?
Ich wollte einen sehr klassischen Weg gehen und ich finde, dass es auch zu meiner Kollektion passt. Es sind tolle Models, der Ort ist großartig, es greift einfach alles ineinander. Ich denke aber, dass meine Designs auch in einem Kunstatelier oder in einem Museum gut präsentiert werden könnten. Der Übergang zwischen Mode und Kunst verschwimmt manchmal ohnehin sehr stark und ich habe eine enge Verbindung zur Kunstwelt, da alle meine Freunde aus der Branche kommen.
Was muss sich deiner Meinung nach in der Modebranche ändern?
Auf eine Weise könnte das wirklich alles sein – ich möchte mein eigenes Business respektieren können. Gleichzeitig kann ich aber nicht sagen, was genau sich ändern müsste.
Und wie trägst du zur Veränderung bei?
Ich reflektiere und recherchiere sehr viel über die Fertigung von Kleidung, habe bereits Möglichkeiten gefunden, um Nähte zu vermeiden. Natürlich würde ich nicht behaupten, dass es die perfekte Lösung ist, aber ich versuche zumindest, darüber nachzudenken. In Zukunft möchte ich mich selbst nicht verändern, auch wenn ich weiß, dass es sehr schwierig ist.
Labels und Designer wie etwa Off-White beziehen ihre Konsumenten heutzutage in den Designprozess mit ein, der Konsument hat also einen stärkeren Einfluss auf die Mode. Was hältst du von diesem Wandel?
Ich finde die Idee, direkt für jemanden zu arbeiten, großartig, denn ob ich eine Person vor Augen habe oder nicht, ändert die Art und Weise, wie ich designe. Ich wünschte, ich hätte mehr Kontakt zu den Leuten, die meine Arbeit mögen. Das alles ist allerdings sehr zeit- und kostenintensiv.
Welchen Stellenwert nimmt die Berliner Fashion Week im Vergleich zu anderen internationalen Modewochen wie Paris, New York oder Mailand ein?
Das Tolle und Interessante an der Berliner Fashion Week ist, dass sie einen Fokus auf junge Designer legt. Viele Menschen kommen genau deshalb hierher, um eben diese Frische zu erleben. Es ist großartig, eine Modewoche in Deutschland und vor allem in Berlin zu haben. In der Schweiz gibt es seit Kurzem die „Mode Suisse“ – vielleicht wird sie etwas wie eine kleinere Version der Berliner Fashion Week. Die neuen, kleineren Städte finde ich generell sehr spannend und freue mich darauf, was in Zukunft noch passiert.
Vielen Dank für das Gespräch.
Dieser Artikel erschien zuerst auf L’Officiel Germany