Sanfte Töne gepaart mit einem eingehenden Sound – die britische Band London Grammar hüllt ihre Zuhörer in einen Schleier musikalischer Melancholie. Gefühlvoll ist jedoch nicht nur der Klang ihrer Musik, auch die Songtexte selbst handeln von tief greifenden Themen wie Wahrheitsfindung, Selbstzweifel oder innerer Zerfall. Elemente, die ebenfalls in ihrem neuen Album “Truth is a beautiful thing” verarbeitet werden. Vier Jahre mussten sich Fans nun in Geduld üben, um endlich wieder einer neuen Platte der aus Nottingham stammenden Bandmitglieder Hannah Reid, Dan Rothman und Dominic “Dot” Major lauschen zu können − hielten sie sich doch seit ihrer Gründung im Jahr 2009 stets zurück, statt auf Quantität zu setzen. Und überhaupt wendet London Grammar der bunten, fast schon grellen Welt des Pops bewusst den Rücken zu, konzentriert sich lieber auf einen eigenen Stil, der zwar schon oft verglichen wurde, sich mit einigen wenigen Worten dennoch nicht so recht beschreiben lassen möchte. Dabei braucht es eine festgelegte Beschreibung gar nicht, reicht es doch schon völlig aus, sich der Komposition aus Stimme und Instrumenten uneingeschränkt hinzugeben. Wir haben die Band anlässlich ihres neuen Albums in Berlin getroffen:
Euer neues Album “Truth is a beautiful thing” ist gerade erschienen. Wie würdet ihr den Sound beschreiben?
Hannah: Er ist etwas aufwendiger – dieses Wort verwendet Dan zumindest ständig. Das Album ist auch etwas bunter und Country-lastiger.
Album “Truth is a beautiful Thing” von London Grammar
Welche Inspiration steckt hinter dem Titel?
Hannah: Der letzte Song auf dem Album trägt denselben Namen. Unser vorheriges Album haben wir auch schon nach dem letzten Titel der Platte benannt und dachten, dass es ein ganz schönes Feature sei.
In diesem Song befasst ihr euch mit dem Thema Wahrheit. Was bedeutet Wahrheit für euch?
Dan: Jede Person hat diesbezüglich ihre ganz eigene Sichtweise. Etwas, das für dich Wahrheit bedeutet, kann für eine zweite Person eine ganz andere Bedeutung haben. Es ist sehr subjektiv, gleichzeitig auf eine merkwürdige Art und Weise auch objektiv – ich habe da eine ganz wirre Ansicht.
Dominic: Für mich geht es um die Limitation des Schmerzes anderer Personen und dass man im Beisein anderer Menschen wirklich man selbst sein kann.
Hannah: Ich denke, es geht darum, sich den Spiegel so oft wie nur möglich vorzuhalten, ehrlich zu sich selbst zu sein und auch die Aspekte an einem kennenzulernen, die man vielleicht nicht so mag.
Ist es wichtig, immer ehrlich zu sein?
Hannah: Nein, Notlügen sind erlaubt. Wenn zum Beispiel jemand sein Badezimmer neu streichen lässt und ich die Farbe schrecklich finde, behalte ich es lieber für mich.
Inwiefern unterscheidet sich der kreative Prozess des aktuellen Albums von dem des Ersten?
Hannah: In einigen Aspekten waren sich beide sehr ähnlich. Es gibt noch immer Lieder, die ich geschrieben und dann an die Jungs geleitet habe – oftmals sind es eher klassische Liebeslieder, wie “Rooting for you”. Das Album selbst ist jedoch etwas dehnbarer. Im Gegensatz zur ersten Platte haben wir außerdem häufig zu dritt und nicht mehr in Zweiergruppen zusammengearbeitet.
Eure Songtexte behandeln meist sehr tiefgründige Themen. Welcher Song hat für euch die größte Bedeutung?
Hannah: Für mich ist es “Bones of Ribbon” – die Lyrics liegen mir sehr am Herzen, denn sie sind das Ergebnis eines wiederkehrenden Traums. Darin geht es hauptsächlich um den eigenen Zerfall und wie sich dieser anfühlt.
Dan: Bei mir ist es “Oh Woman, Oh Man”. Ich weiß gar nicht so genau, weshalb, aber ich liebe die Lyrics − der gesamte Produktionsprozess war großartig.
Dominic: Ich kann mich zwischen zwei Liedern nicht entscheiden. “Hell to the Liars” ist aufgrund des Sounds mein Lieblingssong. “Truth is a beautiful thing” berührt mich jedoch sehr auf der emotionalen Ebene.
Vom Songwriting bis hin zum Perfomen − welchen Part favorisiert ihr?
Hannah: Definitiv das Schreiben. Perfomen ist nicht meine Stärke.
Dan: Performen ist deine Stärke, du magst es nur nicht.
Weshalb? Fühlst du dich auf der Bühne unwohl?
Hannah: Ja, je mehr Leute vor mir stehen, desto nervöser werde ich. Während einer Tour gewöhne ich mich zwar daran, aber die Nervosität verschwindet nie komplett.
Dan: Ich genieße beide Seiten sehr. Natürlich werde ich auch nervös, aber sobald eine Tour erstmal begonnen hat, koste ich es auch aus.
Dominic: Mir geht es da genauso. Ich habe schon immer beides geliebt. Gerade nach den ersten Konzerten werde ich selbstbewusster und merke, dass ich mich verbessere.
Da wir gerade von Konzerten sprechen: Könnt ihr euch noch an das erste Mal erinnern, als ihr vor einem Publikum aufgetreten seid?
Dan: Es war nervenaufreibend.
Hannah: Ja, es war schlimm. Ich hatte Angst, dass die Leute es peinlich finden könnten und musste mich übergeben.
Seit Beginn eurer Karriere wurdet ihr häufig mit der Band “The XX” verglichen. Gab es jemals einen Punkt, an dem es euch genervt hat?
Hannah: Genervt hat es uns nie. Es ist eher so, dass es nicht so wirklich zutrifft und eigentlich ist es auch eher ihnen gegenüber unfair, denn sie haben ihren ganz eigenen Stil und sind ein großer Einfluss. Aber natürlich haben sie auch uns inspiriert.
Dominic: Als unbekannte Band ist es ganz natürlich mit größeren Bands verglichen zu werden, auch wenn es nicht immer ganz passend ist. Die Aufmerksamkeitsspanne der Leute ist sehr kurz und sie wollen schnell wissen, welcher Sound sie erwartet.
Welche Herausforderung war die bisher größte eurer Karriere?
Hannah: Für mich ist es das Lampenfieber und lernen zu müssen, damit umzugehen.
Dominic: Die größte Herausforderung, aber gleichzeitig auch die größte Bereicherung war es, zu lernen, die Chemie der Band und einander zu respektieren.
Dan: Es ist von beidem ein bisschen. Man stößt einfach auf so viele Herausforderungen. Es ist jeden Tag eine enorme Lernkurve, was aber großartig ist.
Kommt es während der Zusammenarbeit denn häufig zu Konflikten zwischen euch?
Hannah: Ja, ständig. Es geht dann meist um die Musik selbst, beispielsweise dann, wenn wir die Songs abrunden wollen. Das ist aber normal, wenn man in einer Band ist.
Dan: Es ist wichtig, um Probleme zu lösen. Solange man die Auseinandersetzung abhakt, sobald man ins Bett geht, ist es auch völlig in Ordnung.
Als Highlight eurer Karriere habt ihr euren Auftritt als Vorband für Coldplay genannt. Für welche Band, egal, ob sie noch existiert oder nicht, würdet ihr eine Show am liebsten eröffnen?
Dan: Auf jeden Fall für Radiohead.
Hannah: Für mich wäre Fleetwood Mac ein Traum.
Dominic: Led Zeppelin.
Wie sieht der perfekte freie Tag für euch aus?
Dominic: Hannahs perfekter Tag startet mit glutenfreien Schokobrötchen. Danach geht sie zum Yoga, von dort wieder nach Hause, wo sie erst mal relaxt und Grey’s Anatomy schaut. Im Anschluss geht sie mit den Jungs lunchen – am besten glutenfreie Pizza. Dann ist der Soundcheck, wo sie mit den Katzen der Veranstalter herumhängt. Und am Ende des Tages wird der Auftritt abgesagt.
Dan: Dominic würde gegen 13 Uhr aufwachen, frittiertes Essen von gegenüber kaufen – vielleicht auch ein Steak mit Eiern, auf jeden Fall ein schweres Mittagessen. Im Anschluss geht er wieder zurück in seine Wohnung und spielt 5-6 Stunden mit seinen zahlreichen Synthesizern. Zwischendrin spielt er vielleicht auch mal ein bisschen Zelda, bevor es zum Gokart geht. Anschließend kehrt er in einem Pub ein …
Hannah: … und macht die Nacht durch.
Dan: Genau! Und am nächsten Tag wird alles wiederholt.
Hannah: Dan wacht gegen 9.30 Uhr auf, frühstückt eine Schüssel Cornflakes – falls er es gut mit sich meint, gibt es auch eine halbe Banane dazu. Die andere Hälfte legt er wieder zurück in den Kühlschrank.
Dan: Das mache ich wirklich jeden Tag!
Hannah: Dann fährt er zu seiner Mutter und geht mit ihrem Hund im Park spazieren. Wenn er wieder zurück ist, meditiert er vielleicht oder liest ein bisschen. Anschließend wartet er auf seine Freundin und isst mit ihr zu Abend, bevor es zu Jamie’s geht, um Fußball zu schauen.
Dan: Ja, das trifft es genau.
Vielen Dank für das Interview!
Dieser Artikel erschien zuerst auf L’Officiel Germany